Die Zündholzschachteln-GESCHICHTE
An einem schönen Sonntag im Wonnemonat Mai lernte Regula Marcel kennen. Von „Romantik“ oder „Liebe auf den ersten Blick“ konnte nicht die Rede sein, allenfalls von Sonne, blauem Himmel und Vogelgezwitscher. Die beiden begegneten sich beim Walken und kamen – weil beide allein unterwegs und – wegen des schönen Wetters – in offener Stimmung waren - ins Gespräch. Sie merkten bald, dass sie gewisse gemeinsame Interessen hatten: Tiere, Natur, Arbeit, ...
Es war beiden schnell klar, dass sie sich wieder treffen wollten. Dies geschah auch … und bald schon ging Regula Marcel auch auf seinem Bauernhof besuchen. Er war bereits seit einigen Jahren Pächter des Bauernhofes und lebte mit seinen Eltern zusammen. Sein Vater arbeitete auf dem Hof mit und seine Mutter kochte, backte, wusch und putzte für die Familie.
Regula und Marcel lernten sich immer besser kennen. Es dauerte nicht ganz zwei Jahre, bis die beiden beschlossen zu heiraten. Sie waren ja auch beide bereits einiges über dreissig Jahre alt. Regula war zwar eine waschechte Städterin und hatte bis jetzt vor allem im Büro gearbeitet, als Personalfachfrau, was ihr sehr zusagte. Die Arbeit auf dem Bauernhof mit den Tieren gefiel ihr aber auch ausnehmend gut. Da es auf dem Bauernhof genügend Arbeit gab, beschlossen die beiden bald, dass Regula nach der Heirat ihre Arbeit aufgeben und voll auf dem Hof einsteigen sollte.
Die Eltern waren natürlich sehr froh, dass Marcel (endlich!?) eine Frau gefunden hatte. Da die Eltern „sehr fortschrittlich“ waren, gab es von Anfang an für beide Parteien getrennte Küchen und auch für jede Partei ein Bad. Natürlich mussten Regula und Marcel, um ihre Wohnung zu erreichen, durch die Wohnung der Eltern laufen, aber das war ja für alle kein Problem … und zudem waren die Eltern „sehr grosszügige“ Leute.
Regula stürzte sich voll Elan und Begeisterung in ihre neue Arbeit. Sie lernte Traktor fahren und genoss es, zu pflügen, zu häckseln … Sie liebte sämtliche Arbeiten auf dem Hof und vor allem auch die Arbeit mit den Kühen.
Ein sehr grosses Anliegen war ihr – wie auch Marcel –, dass die Eltern auf dem Hof einen schönen Lebensabend verbringen sollten. Sie hatten beide gelernt, Eltern und ältere Leute zu ehren. Auch war ihnen der Friede in der Familie äusserst wichtig.
Regula wurde von den Schwiegereltern ein „Pflanzblätz“ zugewiesen. Dass der Schwiegervater den Pflanzenschutz auch in diesem Teil des Gartens übernahm, war selbstverständlich. Regula hatte zwar in der inzwischen absolvierten Bäuerinnenschule das biologische Gärtnern gelernt, sah aber, dass der Schwiegervater "es ja nur gut mit ihr meinte".
Dass Regula die Geranien beim selben Gärtner kaufte, dass die Geranien dieselbe Farbe hatten, wie die der Schwiegereltern, dass sie die Geranienkistchenerde gleich mischte wie die Schwiegereltern verstand sich – ohne ein Wort - von selbst. Schliesslich waren das Wissen und die Erfahrung der Schwiegereltern viel grösser als dasjenige von Regula. Und zugunsten von roten und weissen Geranien auf lila Geranien zu verzichten, wie Regula sie vorgezogen hätte, war ja nun wirklich eine Kleinigkeit!(?)
Selbstverständlich war für Regula auch immer, dass sie zurückstand, wenn der Schwiegervater auf dem Hof mithelfen wollte. Es gab ja sonst noch genug Arbeit, beispielsweise im Haushalt, und schliesslich hatte der Schwiegervater langjährigere Rechte, Heu zu wenden, Stroh zu pressen, Mais zu häckseln als Regula. Seit vielen Jahren hatte er diese Arbeiten auf dem Hof immer ausgeführt und bei allen diesen Arbeiten handelte es sich sowieso um "Männerarbeit". Zudem wollten Regula und Marcel, dass der Schwiegervater sich noch nützlich fühlte. Für Regula war es kein Problem, auf diese Arbeiten zu verzichten, obschon sie „Draussenarbeit“ viel mehr liebte als „Drinnenarbeit“. Für sie war dies –obschon ihr dies natürlich nicht wirklich bewusst war - ihr Beitrag zur Erhaltung des Friedens im Haus.
Dass den Schwiegereltern für ihre Arbeit kein Lohn bezahlt werden durfte, sah Regula spätestens dann ein, als Marcel ihr sagte, dass seine Eltern sich sonst nicht wohl fühlen würden. Das wollte sie natürlich nicht.
Dass in der Familie von Marcel grosser Wert darauf gelegt wurde, den Geburtstag der Eltern sowie vor allem auch den Muttertag gebührend zu feiern, war für Regula einfach zu verstehen. Sie half gerne mit, diese Tradition aufrechtzuerhalten. Schliesslich hatten die Schwiegereltern dies verdient. Sie hatte so viel gearbeitet und sie hatten alles nur für Marcel getan und auch mit Regula meinten sie es ja nur gut.
Regula hatte auch Verständnis dafür, dass die Schwiegermutter für alle kochen wollte, wenn sie selber keine Zeit hatte. Sie verstand, dass es unmöglich war, vorzukochen, oder dass es vollends unmöglich war, mit dem Ernteteam ausnahmsweise einmal das Mittagessen im Restaurant einzunehmen. Für solche Sachen war – wie seit jeher – die Schwiegermutter da. Selbstverständlich war es für Regula auch, dass für das Essen und die Hilfsbereitschaft der Schwiegermutter gebührend gedankt wurde. Die Schwiegermutter meinte es ja nur gut mit ihr und Marcel.
Zwei Jahre nach ihrer Heirat erhielten Regula und Marcel Nachwuchs: die Zwillinge Andrea und Nicole! Dies war für alle eine grosse Freude. Die Schwiegermutter war rund um die Uhr für die Zwillinge da – sie hatte ja auch viel mehr Erfahrung mit Kindererziehung als Regula. Um ihre allzeit bereite Babysitterin wurde Regula von ihren Kolleginnen sehr benieden.
Nach wenigen Jahren ging der Hof – mit Ausnahme des Stöcklis, einer Garage und einem Gartenanteil – in den Besitz von Regula und Marcel über. Im Kaufvertrag war alles genau geregelt. Dass Regula und Marcel den Vertrag genau so akzeptierten, wie er von den Eltern aufgesetzt worden war, verstand sich von selbst. Für die beiden war es auch selbstverständlich, äusserst dankbar dafür zu sein, von den Eltern einen so schönen Betrieb übernehmen zu dürfen, zum Ertragswert. Die Eltern hatten schliesslich ihr ganzes Leben in diesen Hof investiert, sie hatten schliesslich auf alles sonst in ihrem Leben verzichtet, um Marcel einmal einen solchen Hof übergeben zu können.
Marcel und seine beiden Brüder Reto und Alexander erhielten von ihren Eltern zudem noch eine Schenkung im Betrage von je dreissigtausend Franken, wofür alle drei sehr dankbar waren.
Der Vater war selbstverständlich weiterhin jeden Tag im Betrieb anzutreffen und führte selbstverständlich alle diejenigen Arbeiten aus, die ihm zusagten. Er wollte Regula und Marcel ja nur helfen.
Selbstverständlich benutzten die Eltern auch nach der Hofübernahme weiterhin sämtliche Maschinen, Geräte und Werkzeuge des Hofes – selbstverständlich ohne zu fragen – und selbstverständlich hatten sie weiterhin Zutritt zu sämtlichen Räumen des Hofes.
Selbstverständlich waren die Eltern weiterhin jedes Mal dabei, wenn Regula und Marcel privat oder geschäftlich Gäste hatten.
Selbstverständlich wurden die Eltern jedes Mal informiert, wenn Regula und Marcel mit ihren Töchtern ein paar Stunden abwesend waren.
Selbstverständlich legte Regula ihren für ihre Kinder und Ferienkinder selbstgebackenen Kuchen in den Gefrierschrank, wenn an ihrer Stelle die Schwiegermutter Regulas und Marcels Kinder und Ferienkinder mit Süssigkeiten verwöhnte. Die Eltern meinte es ja nur gut mit Regula, ihren Kindern und den Ferienkindern. Sie wollte ja nur geben … und geben ist doch eine gute Tat.
Wieder vergingen ein paar Jahre … und in all diesen Jahren fiel nie (!?) ein einziges böses Wort auf dem Hof!!!
Der Betrieb ging mehr und mehr in die Hände von Regula und Marcel über. Dies äusserte sich vor allem so, dass Futtermittelberater, Vertreter, Geschäftspartner, usw. in Marcel und Regula ihre Ansprechpartner sahen, und nicht mehr in den Eltern/Schwiegereltern. Die Eltern/Schwiegereltern verloren Dritten gegenüber mehr und mehr an Bedeutung. Dies machte sich vor allem auch bemerkbar, als Regula und Marcel den Betrieb von Milchvieh- auf Mutterkuhhaltung umstellten und deshalb ein neuer Stall gebaut wurde. Selbstverständlich war der Vater/Schwiegervater jeden Tag auf der Baustelle … aber für die Baustellenleute war er ohne Bedeutung. Fragen liessen sich die Baustellenleute von Marcel oder von Regula (eine Frau!?) beantworten, nicht vom Vater/Schwiegervater.
Während der ganzen Monate des Stallbaues waren Spannungen zwischen den Generationen fühlbar. Regula und Marcel dachten jedoch, dass das an der vielen Arbeit liegen würde und dass sich diese Spannungen wieder legen würden.
Doch weit gefehlt …!
Kurz nach dem Bezug des Stalles läutete eines Abends das Telefon. Die Eltern wollten, dass Marcel und Regula sofort ins Stöckli kämen, da sie etwas mit ihnen zu besprechen hätten. Selbstverständlich – sie waren zwar beide bereits einiges über 40 Jahre alt - liessen Regula und Marcel alles stehen und liegen und begaben sich ins Stöckli. Dort erfuhren sie, dass Regula – vom ersten Tag ihrer Anwesenheit auf dem Hof an! – das Zusammenleben auf dem Hof zerstört habe, dass sie schuld sei an der schlechten Gesundheit vom Schwiegervater, dass sie den Lebensabend der Schwiegereltern zerstöre, usw. usw. --- Regula war total schockiert! Sie versuchte, zu erklären, dass Veränderungen im Leben normal seien, dass der Lebensabend der Schwiegereltern ihr wichtig sei, usw. Es war sinnlos! Die Schwiegereltern hatten ihr Urteil gefällt! …
… und Marcel schwieg …
Die nächsten Monate waren für Regula schrecklich. Sie lag nächtelang wach und fragte sich immer wieder, was sie falsch gemacht hatte. Ob sie wirklich so böse sei … und auf welche Art sie böse gewesen sei … sie grübelte und grübelte … und verstand … nichts! … aber sie nahm (natürlich unbewusst!) die Schuld, das friedliche Zusammenleben der Generationen zerstört zu haben, auf sich, denn wer sonst sollte schuld sein? Schliesslich war auf dem Hof vor ihrem Eintreffen nie (!) ein böses Wort gefallen!
Sie lebte von nun an in ständiger Angst, irgendetwas falsch zu machen oder etwas falsches zu sagen … im falschen Tonfall - und das tat sie natürlich auch! Sie kam zum Beispiel auf die“ abstruse“ Idee, die Schwiegereltern zu bitten, ihre – Regulas – Kaninchen nicht mehr direkt mit Rüstabfällen zu füttern, sondern die Rüstabfälle nur noch neben den Kaninchenstall zu legen. Zwei Kaninchen waren nämlich wegen Fütterungsfehler verendet. Natürlich bekam sie zu hören, wie unverschämt sie sei, dass sie alles zerstört habe, dass sie eine …..!!!, …..!!!, …..!!! sei, usw., usw. Regula hatte keine Ahnung, wie sie mit solchen Beschimpfungen, Vorwürfen und Beleidigungen umgehen sollte. Sie versuchte einfach nur immer wieder zu erklären, dass sie diese Änderung ja nicht wolle, um den Schwiegereltern zu schaden, sondern um den Kaninchen zu nützen.
Sie machte auch den Vorschlag, zu einem Fachmann in Familienfragen zu gehen, um sich beraten zu lassen. - Die Schwiegereltern hatten so etwas natürlich nicht nötig! Sie waren ja im Recht! Und sie waren zufrieden, hatten gar keine Probleme!
... und Marcel schwieg und begab sich in den Stall zu seinen Kühen …
Alle paar Wochen kam es nun wieder zu ähnlichen Szenen. Regula wurde mit Pauschalvorwürfen und Schimpfworten überhäuft … sie grübelte und grübelte … sie bemühte sich mehr und mehr, die Schwiegereltern zufrieden zu stellen …
… und Marcel schwieg …
Regula versuchte unzählige Male, mit Marcel über die Situation zu sprechen, ihn dazu zu bewegen, mit ihr zusammen Lösungen zur Verbesserung des Zusammenlebens mit den Eltern/Schwiegereltern zu finden, vielleicht auch unter Zuhilfenahme von Fachleuten …versuchte ihm zu erklären, dass sie unter der bestehenden Situation sehr leide … vor allem auch darunter, dass die Schwiegereltern sich sogar igegenüber den Zwillingen negativ über Regula äusserten …
… doch Marcel schwieg …
… doch Marcel musste die Mutterkühe füttern …
… doch Marcel musste den Futterwagen reparieren …
… doch Marcel musste das Futtersilo reinigen …
… doch Marcel musste Saatgut abholen …
… doch Marcel musste ein krankes Kälbchen betreuen …
… doch Marcel sagte ihr, dass nichts geändert werden könne …
Regula ging es schlechter und schlechter … sie wusste nicht mehr, was sagen … sie wusste nicht mehr, wie sagen … sie wusste nicht mehr, was tun … sie wusste nicht mehr, wer sie eigentlich war … sie fühlte sich von Marcel total im Stich gelassen …
… und Marcel schwieg …