Die „Dankbarkeitsfalle“


Heimtückisch an der „Dankbarkeitsfalle“ ist, dass sie oft nur andeutungsweise in Worten oder sogar nur in der Haltung ihren Ausdruck findet.

Die Haltung von Ernst und Frieda drückt aus:

  • Wir haben unser ganzes Leben nur für euch gearbeitet!
  • Wir haben alles nur für euch gemacht!
  • Nur weil wir so fortschrittliche Ideen hatten, nur weil wir so viel gearbeitet haben, habt ihr jetzt einen so schönen Hof!
  • Nur dank uns konntet ihr den Hof zum (tiefen!) Ertragswert übernehmen! Wir haben euch den Hof beinahe geschenkt!
  • Obschon es so heiss war, haben wir freiwillig euren Garten gejätet!
  • Wir haben euch ein zinsloses Darlehen gewährt!
  • Wir haben dem Betriebshelfer geholfen! Ohne uns wäre er nie mit der Arbeit fertig geworden!
  • Das Pony haben wir euch schliesslich geschenkt!

Die Haltung von Frieda und Ernst bewirkt, dass Marcel und Regula sich in einer (unbewussten) Dankbarkeitshaltung befinden und (unbewusst) auch dementsprechend reagieren:

  • Nur weil die Eltern so viel gearbeitet haben, konnten wir so einen schönen Hof übernehmen. Nun müssen wir halt dankbar sein und diese Dankbarkeit so ausdrücken, dass wir sie machen lassen. Wir müssen deshalb Verständnis dafür haben, dass Ernst immer noch mit dem Kartoffelvollernter fahren will. Auch wenn wir sechsmal rufen müssen, bis er anhält. Das ist ja vielleicht schon ein wenig gefährlich für die Leute auf dem Vollernter. Aber Ernst hört halt nicht mehr so gut.
  • Der Betriebshelfer wäre ja sehr gut mit der Arbeit fertig geworden, auch ohne Ernsts Hilfe. Wir gehen ja schliesslich nur in die Ferien, wenn wir einen guten und zuverlässigen Betriebshelfer haben. Aber es stimmt ja schon, wir konnten einen so schönen Betrieb übernehmen. Lassen wir ihn halt machen. Danken wir ihm für den schönen Betrieb, indem wir ihm das Gefühl geben, noch nützlich zu sein.
  • Es ist schon ein wenig gefährlich, Ernst im neuen Ponyfreilaufstall arbeiten zu lassen. Die Ponys sind halt schon ein wenig wild und Ernst ist nicht mehr so beweglich. Und eigentlich hätte der Betriebshelfer ja genügend Zeit. Aber es stimmt schon, er hat uns das erste Pony ja geschenkt. Überlassen wir ihm halt während unserer Ferien den Ponyfreilaufstall. Wohl ist es uns zwar schon nicht dabei.

Marcel und Regula stellen – aus Dankbarkeit - die Bedürfnisse von Ernst und Frieda über ihre eigenen Bedürfnisse, die Bedürfnisse ihrer Angestellten, die Bedürfnisse des Betriebes usw. Dies kann „gefährlich“ sein. Jedoch auch die Dankbarkeitsfalle muss nicht negative Auswirkungen haben:

Wenn Regula und Marcel nicht eine „unbewusste Dankbarkeitshaltung“ einnehmen, sondern sich bewusst sind, dass sie aus Dankbarkeit – und im Einzelfall - einen Kompromiss eingehen oder aus Dankbarkeit etwas akzeptieren … und sie die Folgen dieses „etwas“ gegenüber sich selber, ihren Angestellten, den Betrieb usw. verantworten können. Wichtig ist auch, dass Regula und Marcel diesen Dank (aufrichtig) in Worten ausdrücken.

Merke jedoch: einmal danken genügt – ob es sich dabei um das Jäten des Gartens handelt oder den Erhalt einer Schenkung von Fr. 50‘000.--.